Mobilität in Barcelona: Mehr Raum zum Leben

Durch das Stadtplanungs- und Verkehrssystem der Superblocks werden Feinstaubwerte gesenkt, öffentliche Räume begrünt und die Lebensqualität erhöht.

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Barcelona gehört ohne Frage zu den beliebtesten und schönsten Metropolen Europas. Allerdings werden in der Hauptstadt Kataloniens seit mehr als 10 Jahren CO2-Werte gemessen, die die europäischen Grenzwerte deutlich überschreiten. Dazu kommen der durch viel Straßenverkehr ausgelöste Lärm und wenig Freiraum für Fußgänger*innen oder Radfahrer*innen. Als Lösungsmaßnahme für all diese Probleme hat die katalanische Regierung die Neustrukturierung öffentlicher Straßen und Plätze in Angriff genommen. Durch die Entstehung der sogenannten Superblocks bzw. Superilles (Superinseln) soll die Lebensqualität in den urbanen Räumen verbessert werden – auf sozialer, architektonischer und umweltbewusster Basis.

„Die Straßen mit Leben füllen“

Nach dem Motto „Let’s fill the streets with life“ wurden die Superblocks bereits um das Jahr 2000 von der Agentur Urbane Ökologie der Stadt Barcelona entwickelt und stetig fortgeführt: Um den Straßenverkehr zu vermindern, wurden Häuserblöcke zusammengeschlossen. Die innenliegenden Straßen wurden zu einer Zone für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen umstrukturiert. Der gewöhnliche Autoverkehr wird schlichtweg um die Blöcke herumgeleitet. Lediglich Anwohner*innen, Rettungsfahrzeuge und Taxis haben zu beschränkten Uhrzeiten Zufahrt. So kann der Platz für soziale Aktivitäten wie Märkte, Picknicks oder einfach nur zum Durchatmen genutzt werden. Da dieses Verkehrsprinzip nicht nur simpel klingt, sondern auch sehr effizient ist, weitete Barcelona die Superblöcke nach ersten Testphasen Mitte der 2010er Jahre immer mehr Richtung Innenstadt aus.

Die anfängliche gesellschaftliche Sorge, dass den Geschäften oder Cafés die Kund*innen ausbleiben, bestätigte sich nach der Umstrukturierung der Straßen übrigens nicht. Ganz im Gegenteil: Das neue Ambiente ist offenbar auch für Ladenbesitzer*innen attraktiv, denn die Anzahl der lokalen Geschäfte innerhalb der Superblocks stieg um 30 % an (PDF). Zudem bieten verkehrsberuhigte Räume mehr Platz zum Verweilen, sodass neben positiven Auswirkungen auf das Klima durch neu bepflanzte Hochbeete, Blumenkübel und Bäume gleichzeitig der Wohlfühlfaktor steigt.

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Vorteile und Auswirkungen der Superblocks

  • bieten Vorrang für Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen
  • Höchstgeschwindigkeit für Straßenverkehr 10 km/h
  • einspurige Fahrbahnen für Pkw und nur zu bestimmten Zeiten befahrbar
  • Einbahnstraßen-System
  • sorgen für verminderten CO2-Ausstoß von 47 auf 37 Mikrogramm pro Kubikmeter
  • bieten mehr Raum zum alltäglichen Leben

Nachweisbarer Erfolg von Anfang an

Seit 2016 stehen die Superblocks ganz oben im nachhaltigen Mobilitätskonzept der Stadt. In den nächsten Jahren sollen insgesamt 503 dieser Konstrukte entstehen. Die statistischen Auswirkungen sind vielversprechend: Neben einer verlängerten Lebenserwartung um ca. 200 Tage und 60 % weniger Autonutzung steht auch das Verhindern von rund 300 frühzeitigen Todesfällen pro Jahr in der Statistik.

Innerhalb der Inseln werden ganze Stadtbezirke zu verkehrsberuhigten Bereichen, in denen Pkw-Verkehr nur wenig bis gar nicht geduldet ist – und das hat nicht nur Auswirkungen auf Freizeitgestaltung und geminderte Lärmbelästigung, sondern vor allem auf die Umwelt: Im Stadtteil Sant Antoni werden seit Einführung der dortigen „Superilla“ beispielsweise 25 % weniger Schadstoffe gemessen. Der Plan, dass Barcelona u. a. mit Bepflanzungsmaßnahmen das Image der grauen, naturfernen Großstadt aufpolieren will, ist im europäischen Vergleich nachvollziehbar: Prozentual kommt die Stadt auf 6,6 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner*in. Zum Vergleich: Die grüne Fahrradstadt Amsterdam kann einen starken Wert von 87,5 Quadratmetern aufweisen.

Smart City

Barcelona ist fraglos eine Vorreiterstadt, wenn es um Technologien und Innovationen rund um Stadt- und Verkehrsplanung geht. Dass in vielen Städten der Ausbau des Glasfaserkabelnetzes und die Installation von freiem WLAN bereits als Herausforderungen gelten, müht den Verantwortlichen Barcelonas vermutlich nur ein müdes Lächeln ab. Die Städteplaner*innen in Spanien sammeln unter anderem öffentliche Daten über Wetter, Verkehr, Luftqualität oder Lärm und verarbeiten diese effizient weiter. Sensoren zur Messung sind beispielsweise in smarten Straßenlaternen angebracht. Auf der zentralen Plattform „Sentilo“ werden diese Daten zusammengebracht und ausgewertet. Fällt ein Bezirk aufgrund sehr schlechter Luftwerte oder extremer Lärmausschreitungen auf, so wird eine verkehrstechnische Lösung, etwa Umleitungen von Buslinien, gesucht und umgesetzt. Hier setzt die Stadt auf Langfristigkeit statt spontaner Übersprungshandlungen und nimmt sich viel Zeit für Auswertungen von Pilotphasen neuer Systeme.

„Intelligente Nutzung“ statt „autofreie Stadt“

Auch die Wortwahl für die Maßnahmen, die den Freiraum für Autofahrer*innen immer mehr einschränken, ist von Adrià Gomila, dem Direktor für Mobilität in Barcelona, gut durchdacht: So vermeidet er eine radikale Zielsetzung zur „autofreien Stadt“ und peilt stattdessen eine intelligente Nutzung des Pkw“ an. Die Argumentation funktioniert auch deshalb, weil Projekte nicht kurzfristig als Schnellschüsse angegangen werden, sondern sukzessive entwickelt werden. So wurde das städtische Radnetz bereits 2015 bis 2016 um 250 Kilometer erweitert, das Busnetz in einer Art Schachbrettsystem ausgebaut und die Fahrzeuge durch Elektro- und Hybridbusse ersetzt.

Aktion

Kostenloser ÖPNV auf Leihbasis

Während in Deutschland im vergangenen Jahr für drei Monate das 9-Euro-Ticket angeboten wurde, entschied man sich in Barcelona für eine Art Pfand-System für Pendler*innen. Von September bis Dezember 2022 hatten Pendler*innen und Vielfahrende die Möglichkeit, sich gegen einen Pfandbetrag (zwischen 10 und 20 Euro), ihren kostenlosen (täglichen) ÖPNV-Weg zu sichern. Einzige Voraussetzung, um den Pfandbetrag später zurückzubekommen: Die Strecke muss im Aktionszeitraum mindestens 16-mal genutzt werden. Diese Kontrolle erfolgte durch Eingangsschleusen an den Bahnsteigen. Die Aktion fand ähnlich großen Andrang wie in Deutschland – und wird deshalb auch 2023 fortgeführt. Die Nahverkehrs- und Mittelstreckenzüge der staatlichen Verkehrsgesellschaft Renfe werden bis Ende 2023 kostenlos sein. Weitere Rabattmodelle für die städtischen Bus- und Bahnlinien werden zusätzlich geprüft. Problematisch ist außerdem, dass der landesweite Tankrabatt (20 Cent pro Liter) zeitgleich zur Einführung des kostenlosen ÖPNV verlängert wurde. Der Grund: In Spanien läuft der Güterverkehr hauptsächlich über Lkws statt über den Schienenweg. Die Straßen können bei politischen Entscheidungen also nie außer Acht gelassen werden.

Ein Prototyp für europäische Stadtplanung?

Auch in Basel, dessen Verkehrspolitik in den letzten Jahren viele umweltentlastende und zukunftsfähige Maßnahmen hervorbrachte, wird die Einführung von Superblocks als möglicher nächster Schritt diskutiert. Im Nachbarland Österreich wurde im Jahr 2022 bereits eine Pilotphase durchgeführt, in der die „Supergrätzl“ im Innenstadtbereich der Hauptstadt Wien getestet wurden. Auch in Deutschland sind die katalanischen Superblocks ein viel diskutiertes Thema. So wurden beispielsweise in Berlin viele Bürgerinitiativen im Rahmen der Kiezblocks aktiv. Diese haben bereits vor einigen Jahren rege Diskussionen angeregt. Bis 2026 könnten bis zu 50 Kiezblocks in der Hauptstadt entstehen und mehrere Stadtbezirke umwelt- und verkehrstechnisch entlasten. Mit Blick auf NRWs größte Stadt Köln könnten Superblocks auch eine Möglichkeit für die Entlastung des Innenstadtbereichs darstellen – auch wenn die Bebauungsstruktur mit der Barcelonas wenig gemein hat, und Köln weit mehr Grünflächen im Stadtbild aufweist. Konkrete Maßnahmenpläne gibt es zwar noch nicht, aber auch in der Stadtregierung ist das Prinzip des erfolgreichen Städtebausystems schon längst kein unbekanntes mehr. Aber nicht nur europäische Millionenmetropolen haben ein Auge auf die Entwicklungen in Barcelona geworfen. In Wuppertal-Elberfeld diskutiert die Quartiersnachbarschaft im „Forum:Mirke“ angeregt über die katalanischen Ideen. Die Ziele: bessere Radwege, weniger Autoverkehr und kein Parkchaos mehr. Ein Konzept wollen die Initiator*innen noch 2023 entwickeln.