Mobilität in Singapur: Das perfekte ÖPNV-Netz?

Der ÖPNV in Singapur wurde in den letzten Jahren entscheidend gefördert. Wie weit ist der asiatische Stadtstaat NRW dabei voraus? Ein Erfahrungsbericht.

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Bei den Fahrten mit Bus und Bahn planen wir in NRW für gewöhnlich mit Abfahrts- und Umsteigezeiten – ob bei (halb)stündlichen Verbindungen in Regionen außerhalb oder bei engerer Taktung in den Städten. Was wäre jedoch, wenn es keine Fahrpläne mehr gäbe? Die U-Bahnen und Busse hätten eine so engmaschige und verlässliche Taktung, dass man sich auf den Transport blind verlassen könnte. In NRW wird die einfache und unkomplizierte Mobilität in großen Schritten vorangetrieben –im fernen Singapur ist sie bereits Realität.

Mit fünfeinhalb Millionen Einwohner*innen auf ca. 700 Quadratkilometern Fläche hat Singapur eine Bevölkerungsdichte zu verzeichnen, bei der sogar das Ruhrgebiet nicht mithalten kann. Kein Wunder also, dass Mobilität und Fortbewegung im asiatischen Stadtstaat eine wichtige Rolle spielen. Der Ausbau des ÖPNV wurde daher mit einem Milliardenbetrag von Regierungsseite gefördert – und das hat sich gelohnt.

Julia Farr arbeitet in der Marketingabteilung eines deutschen Unternehmens und wohnt normalerweise in Bochum. Seit vier Jahren heißt ihr Zuhause berufsbedingt Singapur. Die Wahl zwischen ÖPNV oder Auto stellt sich für sie erst gar nicht – allein deshalb, weil seit 2018 keine Kfz-Neuzulassungen mehr im kleinsten Staat Südostasiens erlaubt sind und zudem der ÖPNV so gut ausgebaut ist, dass man zu jeder Zeit schnell und einfach ans Ziel kommt.

MRT, Bus und On-Demand-Services

Das Highlight der singapurischen Mobilitätsszene ist der „Mass Rapid Transit“ (kurz: MRT), der sich über eigene Schienenbrücken quer durch das Land bewegt. Der große Vorteil: Der MRT hat keine Überschneidungen mit weiteren Verkehrsmitteln wie Autos, Bussen oder Fahrrädern. Das macht Verspätungen, Ausfälle oder Unfälle zu absoluten Raritäten. „Derzeit sind zwei neue MRT-Linien im Bau, das System wird also immer weiterentwickelt und es funktioniert wirklich super. Man muss selten länger als 3 bis 5 Minuten auf eine Bahn warten. Zur Rush Hour werden zusätzliche Fahrzeuge eingesetzt und sogar extra Gleise freigegeben, um den Verkehr zu entlasten“, sagt Julia. „Außerdem gibt es weder bei den Bahnen noch bei Bussen Fahrpläne. Es hängen lediglich Streckenpläne aus. Die Taktung ist bei allen Verkehrsmitteln hoch, auch die Busse kommen alle 5 bis 10 Minuten – und es gibt an den Haltestellen dann nicht zwei oder drei, sondern auch mal 30 verschiedene Buslinien.“

Alternative Mobilitätsangebote

Neben den klassischen ÖPNV-Verkehrsmitteln Bus und Bahn setzt Singapur auch auf Carsharing, On-Demand und Bikesharing. Das Thema E-Scooter hat sich in dem kleinen Staat bereits im letzten Jahr wieder erledigt. Zu viele Unfälle führten dazu, dass Sharing-Angebote völlig vom Markt verschwunden sind. Eigene elektrische Scooter sind nur noch unter den Voraussetzungen Führerschein, Kennzeichen und TÜV nutzbar – und zwar ausschließlich auf Radwegen.

Spitzenreiter On-Demand-Dienste

Äußerst beliebt – gerade bei schlechtem Wetter – sind On-Demand-Services. Der größte Anbieter „Grab“ bietet eine Vielzahl an Angeboten, um von A nach B zu kommen. „Viele Einwohner und Einwohnerinnen Singapurs mieten sich nebenberuflich via Carsharing Autos und bieten private Taxifahrten an“, so Julia. „Allerdings richten sich auch hier die Preise nach Uhrzeit und Wetterlage. Wenn es aus Eimern schüttet und ich nicht zum Bus laufen will, kostet die Beförderung schon deutlich mehr als bei Sonnenschein.“

Mit Disziplin in eine autonome Zukunft?

Weg vom Pkw, hin zum öffentlichen Personennahverkehr und innovativen Technologien. Einige MRT-Linien in Singapur sind bereits autonom unterwegs – allerdings bislang nur Strecken, die ausschließlich unterirdisch verlaufen. Dass die Einwohner*innen Singapurs mitziehen, ist bei diesem vielfältigen Angebot zwar wahrscheinlich, aber keinesfalls selbstverständlich. „Es ist alles richtig gut organisiert und die Bevölkerung hat ihren Anteil daran. Es läuft alles sehr diszipliniert, sogar an kleine Dinge wie ‚links stehen, rechts gehen‘ auf der Rolltreppe hält sich jeder strikt und auch die Ein- und Ausstiegsmarkierungen auf den Haltestellenböden werden eingehalten“, erzählt Julia.

Info

So günstig ist der ÖPNV in Singapur

Dank der hohen Investitionen des Landes in den ÖPNV-Ausbau (ca. 13 Milliarden Euro) und dem damit verbundenen Interesse, möglichst viele Pendler*innen in die Busse und Bahnen zu bekommen, ist auch die Preispolitik im Inselstaat sehr nutzungsfreundlich. Für Fahrten mit dem Bus zahlt man im Normalfall nur einen Singapur-Dollar (umgerechnet 0,64 Euro), für den MRT ungefähr das Doppelte. Das Besondere am Preissystem in Singapur: Die Preise sind an das Verkehrsaufkommen gekoppelt. Das heißt, wer zur Rush Hour fährt, zahlt zusätzlich 20 bis 30 Eurocent pro Fahrt. So sollen die Verkehrszeiten mit hohem Fahrgastaufkommen zusätzlich entzerrt werden. Bezahlt wird übrigens mit Hilfe des auch in NRW bekannten Check-in/Check-out-Systems. In Singapur ist der Zugang z. B. mit der gängigen EZ-Link Card, aber auch komplett via Smartphone oder Smartwatch möglich.

Autofahren als Luxusgut

Anders sieht das Thema Individualverkehr aus. „Wenn wir in Deutschland ein Auto kaufen, ist das Fahrzeug an sich die Hauptinvestition. Das ist hier aber nicht das größte Problem, denn in Singapur ist eine Neuzulassung lediglich dann möglich, wenn ein anderes Fahrzeug im Gegenzug abgemeldet oder exportiert wird,“ berichtet Julia. Zudem benötigt man gesonderte Lizenzen, die regelmäßig versteigert werden. „Die sind einerseits extrem teuer und andererseits nur für eine bestimmte Zeit gültig.“ Diese Lizenzen kosten umgerechnet bis zu 30.000 Euro und sind für höchstens zehn Jahre gültig. Zudem würden ältere Fahrzeuge schnell aus dem Verkehr gezogen, da man nachhaltige und moderne Autos auf den (teils auch kostenpflichtigen) Straßen haben wolle. Die Gründe für diese Maßnahmen sind vielfältig, im Mittelpunkt stehen jedoch die schlechten Luftwerte im asiatischen Raum sowie der stetige Bevölkerungsanstieg, durch den die Wege verstopft werden. Ob die Straßen trotz umfangreichem ÖPNV-Angebot zu voll sind? Julia zieht den direkten Vergleich: „Also, die A40 im Ruhrgebiet zur Rush Hour ist deutlich schlimmer als Singapur zur selben Zeit.“

Ein Vergleich zu NRW

…lässt sich nur schwer ziehen – und doch können wir uns von einigen Maßnahmen effektiv Aspekte abschauen. Zwar ist die Förderungssumme zum ÖPNV-Ausbau für die Planer*innen in NRW utopisch, jedoch zieht NRW im Bereich Digitalisierung nach. Durch eezy.nrw, den landesweiten eTarif, wird unser Fahrtantritt vereinfacht, was die Prozesse des Ticketkaufs beschleunigt.

Der Nachhaltigkeitsplan

Unter dem Namen „Sustainable Singapore Blueprint“ verbirgt sich der ausführliche Nachhaltigkeitsplan der singapurischen Regierung. Das langfristige Ziel ist der Aufbau einer nachhaltigen Stadt. Dazu gehört auch der Plan für ein autofreies Singapur („car lite Singapur“), der durch vielseitige Maßnahmen durchgesetzt werden soll. 2015 wurde der Plan ins Leben gerufen und seitdem gibt es sichtbare Erfolge zu vermelden: die Reduzierung des Kfz-Verkehrs, den Ausbau des ÖPNV-Netzes und erste Entwicklungen hin zu autonomen Verkehrsmöglichkeiten.