Mobilität in Paris: Verkehrswende ohne Kompromisse

Mehr Fahrräder, weniger Pkw, keine Leih-E-Scooter: Paris geht auf dem Weg zur Verkehrswende mit strikten Maßnahmen voran.

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Europaweit staunte man im Frühjahr 2023 nicht schlecht: Als erste Metropole haben sich die Pariser Bürger*innen in einer offiziellen Befragung gegen die Fortsetzung des E-Scooter-Verleihs entschieden. Die von Bürgermeisterin Anne Hidalgo initiierte Abstimmung ist zwar nicht rechtsbindend, jedoch hatte sie frühzeitig angekündigt, ihre Entscheidung nach dem Umfrageergebnis zu fällen. Die elektrischen Leih-Tretroller, die seit einigen Jahren kaum noch aus den Städten wegzudenken sind, wurden von 89 Prozent der Abstimmenden als verzichtbar gesehen und werden zum 1. September 2023 von der Bildfläche verschwinden. Ab dann sind nur noch private E-Scooter in der französischen Hauptstadt erlaubt – ca. 15.000 Leih-Scooter fallen weg.

Mehr Sicherheit auf dem Rad und zu Fuß

Die Leih-E-Scooter sind nur ein Punkt, den Paris – und allen voran Bürgermeisterin Anne Hidalgo – anpackt: Die Mobilität in der Stadt soll für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen deutlich verbessert und Paris zur modernen 15-Minuten-Stadt werden. Zu diesem Zweck sollen u. a. mehr verkehrsberuhigte Zonen geschaffen werden. Dafür greift die Stadt zu radikalen Maßnahmen: Im März 2022 wurden in einer Großaktion 336 Autos abgeschleppt und 1.216 Strafzettel für verschiedene Verkehrsdelikte verteilt. Dazu kamen mehr als 1.000 Verwarnungen von 2.000 Beamt*innen. Um die Pkw weiter aus dem Innenstadtbereich zu verbannen, setzen die Verantwortlichen auf die kontinuierliche Reduktion von Parkplätzen und den Ausbau von Tempo-30-Zonen – auf der anderen Seite wird das 700 Kilometer lange städtische Radfahrnetz weiter optimiert. Für die einen ist es die konsequente Durchsetzung des modernen Verkehrskonzepts, für die anderen sind die Maßnahmen zu strikt.

Paris fährt Rad

Mehr Fahrräder – eine Folge der Pandemie

In vielen Großstädten hat sich das Fahrradaufkommen in den Pandemie-geprägten Jahren deutlich vergrößert – das ist in Deutschland schon an den gestiegenen Fahrradverkäufen deutlich geworden. Viele Metropolen haben diese „Chance“ genutzt, um die Radwege zu erweitern und vorerst provisorisch auszubauen. Diese Maßnahmen wurden nach Abklingen der pandemischen Lage in Städten wie Paris oder Berlin nicht mehr zurückgebaut. Ganz im Gegenteil: Die neuen Wege werden für die Verkehrswende genutzt, um klimafreundliche Mobilität zu stärken und Radwegnetze zu erweitern.

Mit dem Rad durch Paris: Zeitersparnis und Finanzbonus

Wer vom Pkw auf das Rad umsteigt, tut in Paris nicht nur etwas fürs Klima, sondern auch für sich selbst: Da ist zum einen die effektive Zeitersparnis. Da das Radnetz in Paris bereits seit den 1990er-Jahren immer großflächiger ausgebaut wurde, kommt man auf zwei Rädern gut voran. So schafft es ein*e Radfahrer*in in der Stadt im Durchschnitt 15 Kilometer in der Stunde zurückzulegen – das ist in der Rushhour mit einem Pkw schier unmöglich. Zum anderen wird der Umstieg von der französischen Regierung auch finanziell schmackhaft gemacht: Durch ein landesweites Förderprogramm erhalten französische Staatsbürger*innen eine Prämie zur Finanzierung ihres Fahrrades, wenn sie dafür ihren Pkw verschrotten lassen. Besonders rentabel ist die Anschaffung eines E-Bikes, denn hier können die Leute bis zu 4.000 Euro sparen. Aber auch ohne Abgabe des Autos wird der Fahrradkauf belohnt. Vom Staat gibt es dann immerhin 400 Euro Kaufprämie – und Paris selbst legt für seine Einwohnenden noch einmal 100 Euro drauf.

 

Übersicht der Maßnahmen

  • Tempolimits in der Innenstadt einführen (59 % der Bürger*innen sind dafür)
  • 250 Millionen Euro bis 2026 in neue Radwege investieren
  • Erste verkehrsberuhigte Zonen 2024
  • Dreispurige Stadtautobahn ausdünnen (eine Fahrspur, eine für ÖPNV und Fahrgemeinschaften und eine begrünte, die einen „grünen Gürtel“ um die Stadt bilden soll)
  • Autoverkehr nur noch für wenige Ausnahmen genehmigen (Handwerker*innen, Lieferant*innen usw.)
  • Neuen Verkehrskodex für mehr Respekt zwischen allen Verkehrsteilnehmer*innen erstellen

Besser heute als morgen ohne Autos

Seit 2014 ist Anne Hidalgo Bürgermeisterin von Paris – und genau so lange setzt sie sich für den Ausbau und die Modernisierung des städtischen Verkehrssystems ein. Durch ihre konsequente Vorgehensweise erntet sie allerdings auch viel Kritik. So plant die aktuelle Regierung eine teilweise Umgestaltung der Stadtautobahn in Grünflächen. Auf den drei Fahrstreifen des 35 Kilometer langen Autobahnrings fahren täglich eine Million Autofahrer*innen – die Nutzung ist dabei wenig effizient, denn wie so oft sitzen die Pendler*innen allein im Auto. Deshalb soll – zusätzlich zum Grünflächenstreifen – eine Fahrspur dem ÖPNV sowie Fahrgemeinschaften vorbehalten sein. Getestet werden soll das im Rahmen der Olympischen Spiele 2024, für die dieser Gemeinschaftsfahrstreifen als eigene Spur für Beteiligte des Sportevents reserviert werden soll.

 

2024 zählt's

Olympische Spiele als Mobilitätsaufgabe

Auf dem Weg zur „Smart City“ bilden die Olympischen Spiele 2024 für Paris eine besondere Herausforderung. Im Mittelpunkt steht dabei die Nutzung von Fahrrädern und dem ÖPNV. Auf die Einrichtung großer Parkflächen wird verzichtet – jedenfalls für Pkw, denn 10.000 neue Fahrradständer sind bis zum nächsten Sommer in Planung. Zudem sollen in Paris selbst als auch in der Vorstadt Saint-Denis insgesamt 80 Kilometer Radweg ausgebaut werden. Diese stehen dann natürlich auch denjenigen zur Verfügung, die das erweiterte Bikesharing-Angebot nutzen.

NRW-Städte ohne E-Scooter und Pkw?

Um E-Scooter-Gegner*innen direkt zu enttäuschen: Ein auf einer Umfrage basierendes E-Scooter-Verbot ist in NRW-Städten nicht durchsetzbar. Schlichtweg, weil die Gesetzgebung in Deutschland eine völlig andere ist als in Frankreich bzw. Paris. Die Lizenz für die E-Scooter-Verleihsysteme wird vom Bund ausgegeben, ein Verbot in einzelnen Städten ist daher schwierig. Bei den Initiativen zu autofreien Innenstädten sieht es da schon anders aus – wenn auch in gemächlichem Tempo. Generell sind sich die politischen Verantwortlichen einig: NRWs Städte müssen sauberer, klimaneutraler und lebenswerter gestaltet werden. Eine schnelle Umsetzung binnen weniger Jahre ist allerdings nicht machbar.

Durch die Etablierung von Mikromobilitätslösungen, wie Leih- und Lastenrädern oder E-Rollern, ist der „Verlust“ des Pkw in Innenstadtbereichen zu verkraften – auch hier spielt der Fahrrad-Boom der Corona-Pandemie eine entscheidende Rolle. Erste Teilausschlüsse des Pkw-Verkehrs gibt es u. a. in Dortmund oder Münster. Am Beispiel Bielefeld, wo versucht wurde, die Autos aus der Innenstadt zu verdrängen, sieht man allerdings auch ein großes Problem des Widerstands: Eine Lösung für Anwohner*innen und Geschäftsinhaber*innen muss in vielen Fällen noch gefunden werden.